Kinderfragen über den Tod
„Mama, wann sterben wir?“ fragt mein dreijähriges Kind während ich den Tisch decke.
„Ich hoffe, das dauert noch ganz lange bis wir sterben.“, so meine Antwort.
„Aber wann denn?“
„Das wissen wir zum Glück nicht. Wir wissen alle nicht, wann wir sterben.“, sage ich.
„Und warum nicht?"
„Na, weil die meisten von uns gerne noch lange leben möchten und wir oft gar nicht richtig beeinflussen können, wann unser Körper oder unser Geist nicht mehr leben kann."
„Sterben wir im Himmel oder auf der Erde?“, fragt mein Kind weiter.
„Naja, wir sterben erstmal auf der Erde und ich stelle mir oft vor, dass wir dann irgendwo im Himmel sind, wenn wir tot sind.“
„So wie der alte Affe und die Oma?“
„Ja, zum Beispiel.“
„Und wie kommt man dahin?“ fragt er voller Neugier.
„Tja, was meinst denn du?“
„Vielleicht fliegen?“ schlägt er vor.
„Ja, vielleicht. In meiner Vorstellung fliegt die Seele von Toten auch meist irgendwie in den Himmel.“
„Mama, was ist die Seele?“
„Puh. Genau weiß ich das ehrlich gesagt auch nicht. Aber ich stelle mir das irgendwie so vor, dass die Seele wie ein unsichtbarer Kern ist, den jeder Mensch in sich hat. Dieser Kern macht jeden Menschen so wertvoll. Wenn der Mensch dann gestorben ist und der Körper oder die Hülle rund um diesen Kern nicht mehr funktioniert, dann bleibt dieser unsichtbare Kern trotzdem übrig. Und vielleicht fliegt dieser Kern dann in den Himmel.“
Ob er nur ansatzweise versteht was ich meine? Keine Ahnung. Aber richtig verstehen tue ich es ja ehrlicherweise selbst nicht. Ihm reicht mein Versuch einer Erklärung erst einmal.
Es vergeht etwas Zeit, der Ort ist derselbe.
„Und wo bin ich dann wenn ihr sterbt? Wer passt dann auf mich auf?“, fragt mein Sohn und ich merke, dass ich kurz schlucken muss. Was für eine Frage! Was für eine gute Frage!
„Erstmal hoffe ich, dass es noch ganz lange dauert bis Papa oder ich sterben und dass du dann schon groß bist und selbst auf dich aufpassen kannst. Aber bei wem würdest du denn gerne bleiben, wenn wir jetzt sterben würden?“
„Mmh, weiß ich gar nicht.“
Wir überlegen gemeinsam, wer in unserem Umfeld alles in Frage käme. Viele Namen fallen: Oma, Opas, Onkel, Tanten, Freunde, Nachbarn.
Wir essen und wir sprechen über ganz andere Themen – wer heute im Kindergarten was gemacht und gesagt hat, als was er sich Karneval verkleiden möchte und wer alles zur anstehenden Geburtstagsfeier kommt. Nach dem Essen spielt er noch ein bisschen mit seinen Legosteinen und ist in Gedanken versunken.
„Mama, kann ich dann alle meine Sachen mit zu Luki nehmen?“
„Was meinst du?“
„Na wenn ihr sterbt. Kann ich dann alles mit zu Luki nehmen?“
„Du, das weiß ich gar nicht. Aber bestimmt könntest du die meisten Dinge, die dir wichtig sind mit zu Luki nehmen.“
„Das müssen wir ihn mal fragen.“
Das Gespräch beschäftigt mich gedanklich noch eine ganze Weile. Ist das normal, dass ein Kind in dem Alter über den Tod und das Sterben spricht? Ich bin versucht das Thema zu googeln, lasse es aber sein. Eigentlich weiß ich es doch selbst am besten – es ist völlig normal und mein Kind ist einfach neugierig. Außerdem ist gerade in der Nachbarschaft ein älterer Mann gestorben. Und Kinder bekommen alles mit. Das weiß ich doch.
Wir haben den Tod und das Sterben seit jeher offen thematisiert, haben unseren Sohn mit auf Beerdigungen genommen, haben Friedhöfe besucht, er hat mich weinen sehen, wenn ich traurig war, weil ich meine Mutter in manchen Situationen noch immer so sehr vermisse. Und dann habe ich mit ihm darüber gesprochen. Wo diese Traurigkeit herkommt. Und wo ich glaube, dass meine Mutter, seine Oma, jetzt gerade ist. Für ihn steht seitdem fest, dass seine Oma und der alte Affe aus dem Kölner Zoo, den er dort so gerne besucht hat, zusammen im Himmel sind. Und wenn der Himmel wieder so bunt leuchtet, dann backen beide zusammen Leckeres. Das klingt schön.
Machen wir Erwachsenen den Tod nicht eigentlich erst zu diesem vermeintlichen Tabuthema über das man lieber schweigt? Bringt unser Schweigen über den Tod nicht eigentlich erst die Angst mit sich, die so viele von uns umtreibt?
Ich stelle mir vor, wie man sich als kleines Kind wohl den Tod und das Sterben vorstellt. Wie es wohl ist, wenn man dem Thema neugierig und völlig unvoreingenommen begegnet. Wenn man von klein auf mitbekommt, dass das Sterben zum Leben dazu gehört. Wenn man am Essenstisch über den Tod genauso redet wie über die nächsten Sommerferien oder den Tag im Kindergarten.
Ich werde meinen Sohn nicht schützen können vor dem Schmerz, den der Tod mit sich bringt. Aber vielleicht kann ich versuchen die Wucht des Schmerzes, die ihn irgendwann treffen wird, schon jetzt ein bisschen abzufedern. Indem ich seiner Neugierde mit offenen Worten begegne. Indem ich den Tod nicht aussperre aus unserem Leben. Indem wir uns zusammen ein buntes Bild vom Tod erschaffen.
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